Bohrarbeiten im Eddesser Ölgebiet

(Quelle: Landkreis Peine von der Lehrerarbeitsgemeinschaft für Heimatkunde 1965)

 

In der Gemarkung Eddesse entdecken wir den Feldern, in den Wiesen und in den Weiden große Pumpen, die, nickenden Pferdeköpfen gleich, sich ganz langsam, fast schwerfällig auf- und abbewegen. Es sind Ölpumpen, die aus dem Schoß der Erde das Erdöl heraufholen. Wir erkennen aber auch einige Pumpen, die nicht mehr arbeiten. Unter ihnen ist das Erdöl erschöpft; sie wurden deshalb abgestellt. Jede Pumpenanlage ist eingezäunt du mit einer zahl versehen, die die Nummer der Bohrung verrät. Der Zutritt ist verboten und der Umgang mit Licht und offenem Feuer untersagt.

Als ich eines Sonntags wieder einmal durch das Eddesser Ölgebiet ging, bemerkte ich einen neuen Bohrturm. Das Bohren hatte noch nicht begonnen; aber die Vorbereitungen ließen darauf schließen, dass in den nächsten Tagen mit dem „Abteufen“ angefangen werden sollte. Da lag, sauber gestapelt, eine ganze Anzahl von langen Rohren verschiedenen Durchmessers; etwa zehn Rohre waren bereits im Turm hochgezogen; der Platz vor dem Bohrturm war mit dicken Bohlen belegt; eine Zuleitung für Wasser war vorhanden; auch zwei Baracken standen da, eine für die Bohrmannschaft, die andere für Werkzeuge, Ersatzteile und Ausrüstung aller Art. Weil ich gern einmal bei dieser Arbeit zusehen wollte, holte ich mir die Erlaubnis dazu bei der Preußag, denn ohne Genehmigung ist das Betreten des Bohrturmes und des Platzes nicht gestattet. In den nächsten Tagen war ich fast jeden Nachmittag dabei und erlebte alle Arbeitsgänge mit; das Abteufen, das Verrohren, das Zementieren, den Einbau der Fördertour und das Anschließen der Pumpe.

Heute morgen hatte man mit dem Abteufen begonnen, und am Nachmittag war ich bereits das erste Mal auf dem Bohrturm. Ein solcher Bohrturm ist ein eisernes Gerüst, 28 Meter hoch, also fast so hoch wie das neue Peiner Rathaus. In der Spitze des Turmes, der Krone, hängt das Rollenlager und daran ein Flaschenzug. Ein dickes Seil läuft darüber, das zur Seiltrommel des Hebewerkes führt. An der unteren Rolle des Flaschenzugklobens hängt ein mächtiger Haken. Er ist deshalb so groß, weil er das ganze Bohrgestänge halten und heben muss. Das Bohrgestänge besteht aus einzelnen Rohren, jedes 9 Meter lang, die zusammengeschraubt werden. Am untersten Rohr befindet sich der Bohrmeißel, während das letzte Stück des Bohrgestänges die Mitnehmerstange ist. Dies ist ein hohler Vierkant, der in eine Aussparung im Drehtisch passt. Dieser Drehtisch ist eigentlich das Wichtigste, denn er versetzt das Bohrgestänge mit dem Meißel in eine drehende Bewegung. Im Gegensatz zu diesem Rotary-Bohrverfahren wandte man für das Tiefbohren früher das sogenannte Schlagbohren an; hierbei arbeitete sich ein an einem Seil oder einem Gestänge bewfestigter Meißel durch ständiges Fallenlassen und Anheben immer tiefer in das Erdreich hinein, das die Bohrleute das „Gebirge“ nennen. Die Eigentliche Arbeit spielt sich auf einer Plattform ab, die etwa vier Meter über dem Erdboden im Turm angebracht ist und „Arbeitsbühne“ heißt. Sie ist zum Schutz der Bohrmannschaft gegen Wind und Regen mit Brettern verkleidet und zur Hälfte abgedeckt. Ein starker Motor treibt den Drehtisch und das Hebewerk an. Am Hebewerk steht ein Bohrmann, eine Hand an einem Hebel, einen Fuß auf die Kupplung gestellt. Von Zeit zu Zeit zieht er den Hebel; dann senkt sich das Bohrgestänge um ein paar Zentimeter, wird angehoben und wieder gesenkt, und so frisst sich der Bohrmeißel langsam, aber stetig in das „Gebirge“.

„Was aber geschieht mit dem vom Bohrmeißel zerkleinerten Gestein?“ fragte ich den Schichtführer. „Sehen Sie, da oben an dem Haken, der das Bohrgestänge trägt, ist ein dicker Schlauch angeschlossen. Durch diesen Schlauch wird die Spülung, das ist eine zähe Flüssigkeit aus Wasser und Ton, in das hohle Bohrgestänge gepumpt. Sie tritt unten beim Bohrmeißel aus und drückt nun das Bohrklein – so nennen wir das zerkleinerte Gestein- zwischen Bohrgestänge und Bohrlochwand nach oben. Das Bohrloch, das der Meißel bohrt, hat nämlich einen größeren Durchmesser als die Rohre, so dass zwischen beiden ein kleiner .“ Zwischenraum entsteht. Am Spültisch läuft die Spülung über ein Schüttelsieb. Während die Spülung durch das Sieb tropft, bleibt das Bohrklein zurück und wird weggeschaufelt. Von zeit zu Zeit nehmen wir Proben davon und lassen sie im Labor untersuchen. Dadurch erfahren wir, welches Gebirge durchteuft worden ist.

Acht Tage später sollte es etwas Interessantes zu sehen geben. Als ich beim Bohrturm ankam, wurde gerade das Bohrgestänge aus dem Bohrloch gezogen. „Heute Nacht haben wir die gewünschte Teufe erreicht“, sagte mir der Bohrmeister, „ und nun haben wir noch einmal nachgebohrt. Das ging bedeutend schneller als beim erstenmal.“ – „Wie tief sind Sie denn hinuntergegangen?“ wollte ich wissen. – „Bei 320 Meter haben wir aufgehört“ – „Und woher wissen Sie, dass Sie in dieser Tiefe Öl finden?“ – „Nun, von den bereits fündigen Bohrungen ringsumher kennen wir das Gebirge ziemlich genau. Ob diese Bohrung fündig geworden ist, das weiß ich allerdings noch nicht!“ Inzwischen war das Bohrgestänge herausgezogen, und nun begann sofort das Verrohren. Hierzu wurden andere Rohre herbeigeschafft; sie hatten einen größeren Durchmesser als die Rohre des Bohrgestänges. Sie wurden zusammengeschraubt und in das Bohrloch eingebaut. Dies ging sehr schnell, und nach kurzer zeit war das Bohrloch verrohrt. Damit war die Arbeit der Bohrmannschaft vorerst beendet.

                    Die nächste Arbeit war das Zementieren des Bohrloches. Von einem Spezialfahrzeug wurde eine Wasser-Zement-Mischung, die „Zementmilch“, in die Rohre eingepumpt und, nachdem ein Zementierstopfen eingeführt worden war, wieder Spülung nachgepumpt. Durch das Nachdrücken der Spülung wird die Zementmilch, die aus dem untersten Rohr durch den Rohrschuh austritt, aus den Rohren verdrängt und hinter den Rohren wieder nach oben gepresst. Der Zementierstopfen soll verhindern, dass Zementmilch und Spülung sich vermengen. Der Zement wird hart und bildet um das Rohr einen richtigen Zementmantel. So bekommen wir die so genannte Wassersperre, die dafür sorgt, dass von höheren Erdschichten kein unerwünschtes Wasser in die Öllagerstätten hineinsickert. Doch wie kam nun das Öl in das Rohr, wenn so ein dichter Ring von Zement darum liegt?

Wenn der Zement hart ist, wird in der Tiefe, in der das Öl lagert, das Rohr durchlöchert oder perforiert. Das machen wir mit einer Sprengladung, die im Rohr zur Entzündung gebracht wird. Hierdurch werden Löcher in das Rohr und in den Zementmantel geschossen, es entsteht eine Art Filter, durch den das Öl in das Bohrloch einsichert.

Wenn sich in dem Rohr das Öl gesammelt hat, wird es heraufgepumpt. Dazu ist eine andere Arbeit nötig, nämlich der Einbau der Fördertour. Diese besteht aus dünneren Rohren mit einem Durchmesser von etwa 5 cm, die in die Verrohrung eingebaut werden. Steigrohre nennt man diesen Förderstrang. Er wird gegen die anderen Rohre abgedichtet und eine Rohrleitung zu einem in der Nähe stehenden Mess- und  Sammeltank geführt, wo sich die Zuleitungen der anderen Bohrungen vereinigen. In diesem Tank misst man die Fördermengen der einzelnen Bohrlöcher.

Die Bohrleute wünschen sich, dass eine Bohrung wenigstens im Anfang eruptiv ist, das heißt; dass das Öl unter dem vorherrschenden Lagerstättendruck von selbst fließt. Im niedersächsischen Fördergebiet hat es schon solche Ausbrüche gegeben, z.B. in Eddesse-Nord und besonders kräftig in Hänigsen im Landkreis Burgdorf. Meistens muss aber das Öl aus der Tiefe heraufgepumpt werden. So war es auch bei unserer Bohrung. Deshalb wurde eine Tiefpumpe einbaut. Der Kolben, der am Pumpgestänge befestigt ist und im Zylinder der Tiefpumpe arbeitet, wird von dem über Tage stehenden Pumpenantrieb bewegt. Die nickenden Pferdeköpfe in der Feldmark um Eddesse sind also nur die Pumpenschwengel; die eigentliche Pumpe sitzt tiefer in den Steigrohren.

Das so geförderte Öl fließt von der Pumpe nach dem Messtank und wird von hier in einer teils über, teils unter Tage verlegten Rohrleitungen, die man „Pipeline“ nennt, des Erdölfeldes gepumpt. Aus dem Abschnitt über die Lagerstätten wissen wir ja bereits, dass Erdöl immer in der Nähe von Salzstücken gefunden wird. Deshalb wundert es uns nicht, wenn mit dem Öl auch noch Salz und Wasser nach oben gepumpt werden. Hier in der Entwässerungsanlage bekommen wir nun endlich eine Probe des Erdöls zu sehen. Es heißt jetzt übrigens nicht mehr Erdöl, sondern von dem Augenblick an, da die Pumpe es aus dem Innern der Erde ans Licht befördert hat, Rohöl. Das Rohöl ist dickflüssig und von braunschwarzer Farbe. Beim Erwärmen wird es dünnflüssig und schäumt. Zwischen den Fingern fühlt es sich glitschig und ein wenig klebrig an. Es riecht wie Wagenschmiere, schmeckt unangenehm und hat einen starken Nachgeschmack.

In der Entwässerungsanlage gelangt das Rohöl zunächst in den Vorwärmer, wo es erhitzt wird, und dann in die Vorentwässerung. Hier trennen sich das Gas und der größte Teil des mitgeförderten Wassers vom Öl. Das Gas leitet man über den Gasabscheider zu den Gassammelbehältern, den Gasometern. Mit diesem Gas, das einen oberen Heizwert von

15 000 Kalorien hat (gegenüber 4500 Kal. bei Buchenholz und 7500 Kal. bei der Steinkohle), wird eine große Kesselanlage gespeist. Von hier aus werden sämtliche Gebäude, Werkstätten und Büros auf dem Werksgelände geheizt.

Das noch einen Rest Wasser enthaltende Nassöl erhitzt an weiter. Durch geringere Durchlaufgeschwindigkeit durch das Rohrsystem und infolge des verschiedenen spezifischen Gewichtes von Öl und Wasser wird eine Trennung erzielt, und so bekommt man Reinöl. Dies Öl entspricht den Bestimmungen der Raffinerie, da es jetzt nur noch einen geringen Teil von Wasser und Salz enthält. Das Reinöl pumpt man in einer Rohrleitung nach Misburg bei Hannover zur Weiterverarbeitung. Das salzhaltige Wasser – es schmeckt etwa so wie Ostseewasser – passiert eine Klärgrube mit mehreren Kammern, wird gereinigt und über Hilfsbohrungen wieder der Lagerstätte zugeführt.